Wir brauchen ein neues Verständnis, wann und bis zu welcher Höhe sich unser Staat sich verschulden darf. Der Vergleich mit der "Schwäbischen Hausfrau" hinkt. Weg mit der Schuldenbremse: Der Staat ist kein Privathaushalt! Denn der Staat hat ganz andere Aufgaben als ein Privathaushalt. Und in dem Zusammenhang Staatsschulden sind auch nichts Schlechtes - Es müssen allerdings die "richtigen" Schulden sein.
Was sind die "richtigen" Schulden
Staatsschulden für Investitionen sind die "richtigen Schulden", denn " Investitionen" sind in die Zukunft gerichtet. Nicht nur wir haben längerfristig etwas davon, sondern auch noch uns nachfolgende Generationen. Also dürfen bis zur Höhe der Investitionen auch Schulden gemacht werden. Dürfte es diese Art von Verschuldung nicht geben, hätten wir noch heute kein ausgebautes Schienennetz, Straßennetz, Parks, Wohnungen, keine Busse, Bahnen, Flugzeuge. Zu tilgen sind diese Art Schulden natürlich bis spätestens zum Ende der voraussichtlichen Nutzungsdauer, sonst ist auch die beste Staatsverschuldung am Ende tatsächlich eine schlechte.
Die hier vorgeschlagene Regelung ist übrigens nicht neu. Sie entspricht vielmehr ziemlich exakt dem alten Artikel 115 Grundgesetz vom 12.5.1969. Dort hieß es in Satz 2:
Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten. Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.
Was damals allerdings falsch gemacht wurde (und dieser Fehler war mir schon in meinen jungen Anfängen als Haushaltspolitiker aufgefallen): Es fehlte eine Regelung, in wieviel Jahren ein Kredit für eine bestimmte Investition getilgt werden muss. So dass lt. Staatsverschuldung.de Dienstfahrzeuge aus dem Jahre 1970 noch im Jahre 2009 als Schulden herumspukten. **Doch dieses Manko wäre mit dem obigen Vorschlag ("voraussichtliche Nutzungsdauer") ja abgestellt.
Natürlich bedarf das alles noch der weiteren Ausgestaltung. Gerade auch um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. So müsste heute viel genauer uns strenger bestimmt werden, ab welcher Nutzungsdauer zum Beispiel eine Investition "Investition" genannt werden darf. Aber das ist eine Frage des politischen Willens und der daran beteiligten Ökonomen und Finanzpolitiker, ganz bestimmt nicht eine Frage der Machbarkeit.
Bildung
Auch Geld in die Bildung zu stecken, ist eine "Investition". Sie ist in die Zukunft gerichtet wie all die obigen Investitionen, egal ob Geld in die Lehrkräfte, in die dazugehörige Ausstattung und Technik oder den Bau von Gebäuden dafür gesteckt werden. Von "Bildung" haben alle etwas: die uns anvertraute Jugend, aber auch wir Erwachsenen. Siehe Welt- und Menschenbild. Also dürfen bis zu dieser Höhe auch Schulden gemacht werden.
Weg mit der "Schuldenbremse"
Die Schuldenbremse orientiert sich an 0,35% des Bruttoinlandsprodukts (Neuer Artikel 115 des Grundgesetzes vom 31.7.2009) - Ein schwerer Fehler! Durch die Koppelung an das Bruttoinlandsprodukt bremst die Schuldenbremse wichtige Investitionen nämlich immer genau dann aus, wenn wegen Abschwächung der Konjunktur eigentlich "Nachfragepolitik"* (also Unterstützung der Wirtschaft durch staatliche Investitionen!) angesagt wäre! Je schlechter es also um unser Land und um unsere Wirtschaft steht, um so weniger dürfen wir Schulden für Investitionen machen? Eine ökonomisch unsinnigere und volkswirtschaftlich gefährlichere Regel gibt es nicht. Wieder arbeitet der Neoliberalismus zu unser aller Ungunsten und wider alle Vernunft.
Und noch etwas Unsinniges gibt es in der neuen Schuldenbremse: Sie erlaubt auch Ausgaben auf reinen Konsum. Also Ausgaben, die nur zur Befriedigung kurzfristiger Bedürfnisse da sind, ohne dass sie uns auch in Zukunft nützen. Deshalb hier die letzte Verschuldungsregel:
Keine Verschuldung für Konsumausgaben!
Konsumausgaben haben keinen langfristigen Effekt. Also dürfen für sie auch keine Schulden gemacht werden, sondern sind immer aus dem laufenden Haushalt (aus dem bereits Erwirtschafteten) zu bezahlen. Sonst kommen wir wirklich in Teufels Küche. Auch insoweit erweist sich die neue Schuldenregel "0,35% des Bruttoinlandsprodukts" als volkswirtschaftlich unsinnig. Noch einmal: Wir haben es beim Staat (also auch bei der Frage der Staatsverschuldung) mit Fragen der "Volkswirtschaft" zu tun, also mit anderen Fragen und Problemen als zum Beispiel denen einer "Schwäbischen Hausfrau" oder eines privatwirtschaftlich geführten Unternehmens.
Schlussbemerkung
Natürlich wäre es auch staatlich gesehen am besten, wenn alles aus bereits Erwirtschaftem bezahlt werden könnte, aber das ist hier ja gar nicht die Frage - und bei richtiger Anwendung des Begriffs "Investition" auch gar nicht erforderlich.