Wir beginnen mit einer Preisfrage:
Wieviele Arbeitslose gab es 2008? Schauen wir uns die nachfolgende Tabelle einmal in Ruhe an. Sämtliche Zahlen stammen aus dem Statistischen Jahrbuch 2009 des Statistischen Bundesamts (destatis), Wiesbaden:
Welches ist die richtige Zahl?##
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) vermeldete in ihrem Monatsbericht „Dezember und Jahr 2008“ die Zahl von 3,102 Mio (Bundesagentur für Arbeit: "Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland - Monatsbericht Dezember und Jahr 2008", Nürnberg 2009, Seite 13). Warum ist diese niedrige Zahl 3,102 Mio die (angeblich) „richtige“ Zahl und nicht die Zahl 5,927 Mio?
Wir halten vorab schon mal fest, die Zahl von 5,927 Mio ist die richtige Zahl.
Nämlich dann, wenn wir alle die erfasst und verlautbart sehen wollen, die von ihrer Arbeit alleine nicht leben können ("Niedriglöhner", "Aufstocker" usw.).
Diese hohe Zahl wird meistens verschwiegen.
Sie wird allerdings immer dann hervorgeholt, wenn es darum geht, Erhöhungen von Sozialleistungen (Hartz IV-Leistungen usw.) zu verhindern. Zuletzt hatten wir diese Situation, als es Anfang 2011 darum ging, Hartz IV um 5 Euro monatlich zu erhöhen. Sie erinnern sich? Plötzlich wurde die Zahl der "Leistungsbezieher" via Medien höher und höher.
Meistens sind es niedrige Zahlen.
Im Moment, Ende 2014, sind die öffentlich genannten Zahlen zum Beispiel wieder ganz niedrig. Kein Wunder, denn derzeit geht es ja darum zu "beweisen", wie gut die Wirtschaftspolitik der derzeitigen GroKo, der Großen Koalition der Bundesregierung ist. Dieses schäbige Spiel mit den Menschen funktioniert, indem man sich diese Zahlen gewissermaßen "ergaunert".
Wie das im Einzelnen geht, erfahren Sie jetzt:
Das Kreuz mit der Arbeitslosenstatistik
Zunächst möchte ich eine Lanze für „die“ Statistik brechen - doch dann auch wieder nicht###
Oft und gerne wird behauptet, die Statistik würde lügen. Das ist nicht meine Erfahrung mit den Zahlen des Statistischen Bundesamts und der Bundesanstalt für Arbeit (BA), auf die ich mich in meinen Auswertungen hauptsächlich stütze! Die arbeiten schon sehr genau. Dabei sind ihre Ausdifferenzierungen allerdings derart vielgestaltig, dass man schließlich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht oder zumindest in der Gefahr ist, ihn nicht mehr zu sehen oder ihn wahrscheinlich auch gar nicht mehr sehen soll.
Zu Recht spricht daher der aus Funk und Fernsehen bekannte Börsenhändler und Buchautor Dirk Müller („Mr. Dax“) in diesem Zusammenhang von Nebelkerzen (Dirk Müller: Crashkurs, München 2009, S. 24).
Nebelkerzen
Nebelkerze „Arbeitslosendefinition“
Arbeitslose, die nicht mindestens 15 Stunden pro Woche arbeiten können oder krank geschrieben sind, die einen Ein-Euro-Job haben oder an Weiterbildungen teilnehmen, gelten nicht als arbeitslos! Ebenso gelten Arbeitslose nicht als arbeitslos, die älter als 58 sind und als ALG II-Bezieher (Hartz IV) länger als ein Jahr kein Jobangebot erhalten haben, sowie seit Mai 2009 alle Arbeitslosen, die von privaten Arbeitsvermittlern betreut werden.
Nebelkerze „ILO-Arbeitsmarktstatistik“
Die „ILO-Arbeitsmarktstatistik“ (ILO) erfreut sich in Medien, Wirtschaft und Politik mittlerweile besonders großer Beliebtheit.
Das ist kein Wunder, denn als „Nebelkerze“, unschöne Verhältnisse besonders schön aussehen zu lassen, taugt sie besonders gut. Sie kommt nämlich im Gewand der besseren internationalen Vergleichbarkeit daher und so werden in einem ersten Schritt für die ILO keine Totalerhebungen mehr gemacht, sondern viel ungenauere Stichprobenerhebungen. Diese erfolgen nur noch in Form monatlicher telefonischer Befragungen, die anschließend hochgerechnet werden.
Die "ILO"
Die "ILO"-Daten stammen im Gegensatz zu früheren Erhebungen also nur noch aus telefonischen Befragungen, die anschließend hochgerechnet werden. Aus Arbeitslosen werden dabei kurzerhand „Erwerbslose“. Mit denen lassen sich statistisch dann schöne Sachen anstellen, was nicht einmal verschwiegen wird: „Die Unterschiede zwischen den Erwerbslosen und den Arbeitslosen der Bundesagentur für Arbeit (BA) sind erheblich.“ bemerkt dazu das Statistische Bundesamt in seinen „Methodischen Erläuterungen“ (Jahrbuch 2009, Seite 79 ).
Wie erheblich die Unterschiede sind, zeigt sich z.B. an Folgendem:
- "Arbeitslose, die eine Tätigkeit von weniger als 15 Wochenstunden ausüben [zählen] nach ILO-Definition nicht als Erwerbslose, sondern als Erwerbstätige" (ebda, S. 79)
- "Erwerbstätige sind Personen im Alter von 15 Jahren und mehr, die im Berichtszeitraum wenigstens eine Stunde für Lohn oder sonstiges Entgelt irgendeiner beruflichen Tätigkeit nachgehen...." (ebda S. 80)
- "Erwerbslose" sind Personen ohne Erwerbstätigkeit im Alter von 15 bis 74 Jahren, die sich in den letzten vier Wochen aktiv um eine Arbeitsstelle bemüht haben und sofort, d.h. innerhalb von zwei Wochen, für die Aufnahme einer Tätigkeit zur Verfügung stehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie bei einer Arbeitsagentur als arbeitslos gemeldet sind oder nicht" (ebda, S. 79 - Hervorhebungen d.V.).
Wer also bei der Befragung aus Scham seine Arbeitslosigkeit verschweigt oder wer erklärt, er habe das Suchen aufgegeben, weil er sowieso nichts findet, fällt aus der neuen ILO-Statistik ebenso heraus wie der, der vier Wochen lang nicht "aktiv" gesucht hat.
"Auf den zeitlichen Umfang der gesuchten Tätigkeit kommt es nicht an", heißt es weiter. Wer also in der Befragung angibt, auch nur für eine Stunde irgendwo aushilfsweise eine Bezahlung erhalten zu haben, zählt ab sofort als erwerbstätig!
Täuschen und Vertuschen
Da lässt sich natürlich eine Menge schön fragen und so kommt es, dass offiziell immer „selbstverständlicher“ von Erwerbslosen da gesprochen wird, wo eigentlich Arbeitslose gemeint sind. Denn natürlich ist es für die politisch wie wirtschaftlich Verantwortlichen schöner, öffentlich nur von 2,6 Mio. "Erwerbslosen" sprechen zu müssen statt von 5,9 Mio. "Arbeitslosen".
Wie verlogen die ganze öffentliche Diskussion diesbezüglich ist, zeigte sich Anfang 2011 als es in der politischen Auseinandersetzung darum ging, den Hartz IV-Empfängern monatlich fünf Euro oder mehr zuzugestehen. Wie selbstverständlich stand plötzlich die (richtige) Zahl von rd. 7 Mio. Hartz IV-Empfängern in allen Zeitungen. Das allein zeigt, was von der offiziellen Arbeitslosenzahl von 3,1 Mio. Arbeitslosen bzw. 2,6 Mio. Erwerbslosen zu halten ist.
All diesen Menschen wird nun von Politik, Wirtschaft, öffentlicher Meinung (und qua „HartzIV“-Gesetzgebung!) unterstellt, sie würden schon Arbeit finden, wenn sie nur wollten und von den Angeboten der Politik des "Forderns und Förderns" endlich Gebrauch machen würden. Doch gibt es überhaupt genügend existenzsichernde Arbeitsplätze, von denen ein Mensch vollständig leben, sich kleiden und ernähren kann?
Und schon kommen wir zur nächsten "Baustelle":
Arbeitsplatzangebot (offene Stellen)
Könnten tatsächlich alle Menschen ausreichende, existenzsichernde Arbeit finden, wenn sie sich nur genügend anstrengen würden? Ist die HartzIV-Politik des "Förderns und Forderns" so gesehen der richtige Ansatz? Reichen die Stellenangebote ("gemeldete Stellen", früher "offene Stellen"), um die Nachfrage nach Arbeit auf dem Arbeitsmarkt zu decken oder (noch besser) zu übertreffen?
Dieser Frage bin ich nachgegangen und es war insbesondere interessant, wie im Laufe des neoliberalen Zeitalters von 1982 bis heute (2010) die Statistiker damit umgingen. Denn die reine Daten- und Faktenlage war schon immer verheerend, wie wir unter Arbeitslosigkeit in der Grafik "Mission Accomplished - Arbeitslosigkeit" bereits gesehen haben (siehe dort insbesondere die gelben Säulen!).
Bis zum Statistischen Jahrbuch 1995 (S. 109) waren die Zahlen besonders klar und offen dargelegt. Da gab es jedes Jahr eine die Verhältnisse klar und offen darstellende farbige Grafik, die von 1995 bis 2006 -Statistisches Jahrbuch 2007- allerdings immer weiter nach hinten rückte und auch immer unauffälliger platziert wurde. Stattdessen traten nun "ILO"-Begriffe samt zugehörigen Grafiken in den Vordergrund (z.B. mit den Begriffen „Erwerbslose“ statt „Arbeitslose“ - vgl. oben „Nebelkerzen“).
Heute schmücken das Inhaltsverzeichnis „moderne“ englische Ausdrücke wie „Labour market“ an den Stellen, wo früher „Offene Stellen“ stand. Dabei läge es doch eigentlich nahe, gerade diese Frage an allen möglichen Stellen besonders hervorzuheben und ihr nachzugehen, wenn man sich tatsächlich so sehr dem „Kampf gegen die Arbeitslosigkeit“ verschrieben hat.
Das Statistische Bundesamt wie auch die einschlägigen politischen Kräfte verweisen gerne darauf, dass die Ausweisungen der offenen Stellen "zur Feststellung des Arbeitskräftebedarfs der Wirtschaft nur begrenzt geeignet" seien (2009, S. 78). Das ist insofern richtig, als diese Mehrfacherfassungen enthalten können! So können nach Wettbewerbsrecht bei Bauprojekten zum Beispiel im Rahmen von Ausschreibungen für Ingenieure aus einer offenen Stelle ganz leicht mehrere offene Stellen werden. Tatsächlich geht es dabei aber nur um eine einzige Stelle! Zu wenig "offene Stellen" enthalten diese Zahlenwerke also auf keinen Fall. Und tatsächlich:
Die BA weiß alles
Die BA weiß sehr genau, wie die tatsächlichen Verhältnisse sind!
Denn, so die BA z.B. in ihrem Monatsbericht 2009, (Nürnberg 2010, S. 13 unter „2.2 BA-bekannte Stellen“): "Neben den gemeldeten Stellen kennt die Bundesagentur weitere Stellen. Im Dezember waren das 229.000 aus ihrer JOBBÖRSE, 146.000 aus dem Job-Roboter und 8.000 für Selbständige und aus der privaten Arbeitsvermittlung. Nach Untersuchungen des IAB kennt die Bundesagentur für Arbeit den weit überwiegenden Teil des gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots“ (Hervorhebung d.V. - hier mental versehen mit weiteren zehn Ausrufezeichen!).
Hinzugefügt werden muss, dass es sich bei diesen weiteren bekannten Stellen wie gesagt um lediglich weiter aufgedröselte Stellen handelt, also nicht um Arbeitsplatzangebote, die die Zahl der "offenen Stellen" grundlegend noch erhöhen. Wäre das so, bräuchte man in den Statistischen Jahrbüchern ja auch nicht immer mehr Versteck spielen mit diesen Stellen, sondern könnte die "offenen Stellen" mit großem Hurra an hervorragender Stelle nennen - um anschließend noch mehr mit dem Finger auf die "faulen" Arbeitslosen und HartzIVer zu zeigen.
Staatsverschuldung